Bequemlichkeit gegen Eigenverantwortung

Wer die Freiheit erhalten will, muss auch bereit sein, Verantwortung zu tragen. Eigenverantwortung schützt vor dem bürokratischen, paternalistischen Staat.

Der Schutz der Freiheit gehört – neben der Herstellung von Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit – zu den vornehmsten Aufgaben des Staates und damit der Politik. Denn Freiheit ist, um es mit dem Gründer der Paneuropa-Union Richard Coudenhove-Kalergi zu sagen, das Ideal Europas. Ja, er verknüpft den Bestand Europas sogar mit dem Bestand der Freiheit: „Europa wird bestehen, solange es diesen Kampf fortsetzt; sobald es dieses Ideal preisgibt und seiner Mission untreu wird, verliert es seine Seele, seinen Sinn, sein Dasein. Dann hat es seine historische Rolle ausgespielt.“

Ebenso deutlich im Kampf um die Freiheit und das Recht wird Otto von Habsburg, der nach dem Gründer über 30 Jahre lang die Paneuropa-Union führte: „Wollten wir eine Richtlinie und ein Programm für die Zukunft erarbeiten, dann ist vor allem zu klären, was der tiefere Sinn der Politik ist. Dieser ist nicht Machterhalt und Machtausübung, wie die meisten zeitgenössischen Bürokraten glauben, sondern Dienst an den ewigen Werten, die da sind: Recht, Freiheit und Menschlichkeit. Ihre Sicherung ist das Wesen und die Rechtfertigung des Staates. Die Politik ist dazu da, diesen Idealen zu dienen. Das ist die Perspektive, in welche die Mittel, Wege und Programme der Politik gestellt werden müssen.“

Aus beiden Zitaten wird klar, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist. Sie muss ständig erkämpft und erstritten werden. Und das nicht nur gegen allerlei Versuchungen des totalen Staates, sondern vor allem in der Auseinandersetzung mit der Bequemlichkeit. Freiheit ist untrennbar verbunden mit Verantwortung. Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung, und auch die Verantwortung braucht Freiheit. Verantwortung wiederum ist nicht einfach delegierbar, sondern stellt eine Herausforderung für jeden einzelnen von uns dar. Eigenverantwortung bedeutet, dass wir unser Schicksal nicht in die Hand des Staates, der Bürokratie legen, sondern selber in die Hand nehmen. Nicht der Staat ist für unser Glück verantwortlich, sondern wir selber haben das Recht und die Pflicht für uns zu sorgen.

Dieser Grundsatz gilt vor allem für demokratische Systeme. Absolutistische Herrscher nahmen für sich in Anspruch, für das Wohl ihrer Untertanen verantwortlich zu sein, und ihnen deshalb vorschreiben zu dürfen, was sie zu tun und was zu unterlassen hätten. Der Staat war paternalistisch organisiert. Man schickte Kaffeeschnüffler, um zu verhindern, dass der unverantwortliche Untertan dieses Getränk konsumierte. Demgegenüber steht der eigenverantwortliche Bürger, der nicht für alles nach einer Vorschrift durch den Staat und einer Kontrolle durch die Polizei oder andere Behörden ruft, sondern eigenverantwortlich für sich und seine Familie Entscheidungen trifft. Dabei gilt die Herausforderung, dass diese Entscheidungen nicht nur vernünftig sein sollen, sondern auch nicht die Freiheit des anderen einschränken.

Eine der wenigen griffigen Definitionen der Freiheit stammt von Jean-Jacques Rousseau: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will.“

Dabei ist nicht alles Eigenverantwortung, was vielleicht für den einen oder anderen in Ablehnung staatlicher Maßnahmen so erscheinen mag. Wer sich weigert, seine Kinder impfen zu lassen, handelt nicht vernünftig, sondern höchst fahrlässig gegenüber seinen Kindern und den Kindern vieler anderen Familien.

So kann es auch kommen, dass im politischen Betrieb Bewegungen unter der Tarnkappe der Ablehnung eines Obrigkeitsstaates auftreten, letztlich aber doch nichts anderes sind, als eine neue Form des Paternalismus. Ein wunderbares Beispiel dafür sind die 68er. Die 68er sind ja mit dem Anspruch einer Auflehnung gegen den Staat angetreten. Tatsächlich ist keine Generation davor so bedingungslos in den Staatsdienst eingetreten wie die 68er. Der Marsch durch die Institutionen war wohl eines der am meisten bürokratischen und etatistischen Manöver, das die Geschichte je gesehen hat. Es ging ja nicht nur um den Marsch durch die Institutionen, sondern um die Schaffung vieler neuer bürokratischer und zentralistischer Institutionen. 50 Jahre später glauben immer noch Menschen, die 68er-Bewegung wäre eine Freiheitsbewegung gewesen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie hat Bürokratie und Zentralismus geschaffen. Bürokratie und Zentralismus sind Zwillinge, die direkt zum Verlust der Freiheit führen.

Der größte Feind der Eigenverantwortung aber ist die Bequemlichkeit. Es ist ja nicht nur die Regelungswut von Politikern und Bürokraten, sondern auch die Bequemlichkeit des Einzelnen, der Ruf nach dem Staat, der doch die Dinge ordnen soll (auch wenn er, je mehr Aufgaben er nimmt, immer mehr zum Scheitern verurteilt ist), die das Prinzip der Eigenverantwortung in den Hintergrund gedrängt haben. Übernommen hat der Wohlfahrtsstaat: ein politisches Konzept, das die Bürger – noch dazu mit ihrem eigenen Geld – vom Staat abhängig macht.

Die Erfolgsgeschichte Europas, die diese Halbinsel westlich von Asien einst zur führenden Weltmacht geführt hat, geht allerdings nicht auf einen paternalistischen Wohlfahrtsstaat zurück. Hier findet man ein Fundament, das im Wesentlichen auf den Säulen Rechtsstaatlichkeit und Freiheit beruht. Dazu kommen noch weitere Elemente wie die Bedeutung der Familie als Keimzelle der Gesellschaft, die zwar vom Staat geschützt aber nicht reguliert wurde. Auf diesem Fundament beruhen weitere Grundpfeiler wie das Privateigentum, die persönliche Haftung für Misserfolg aber auch Erfolge, damit das private Unternehmertum, das auf Innovation setzen muss, um erfolgreich zu sein. Die Kombination aus Unternehmergeist, Innovationskraft, Eigenverantwortung und Rechtsstaatlichkeit sind der Grundstein für den Wohlstand. Dass sich diese Prinzipien in einer Kultur entwickeln konnten, die ganz eindeutig christlich geprägt ist, ist kein Zufall.

 

Der Artikel wurde ursprünglich für „Couleur“, die Zeitschrift des MKV geschrieben.

 

Veröffentlicht am 8. Mai 2020.

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